Warum Arbeitssucht keine Tugend ist und was Workaholics tun können

Von Christina Holl on 8. Juli 2021

Im Job engagiert zu sein, ist grundsätzlich nichts Schlechtes und wird in unserer Gesellschaft in der Regel deutlich positiver bewertet als eine strikte 9-to-5-Mentalität. Mancher brüstet sich sogar mit den Plusstunden auf dem Arbeitszeitkonto und behauptet nicht ohne Stolz von sich, ein ziemlicher Workaholic zu sein. Gesund ist das aber nicht.

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Obwohl diese Bezeichnung im Business-Umfeld durchaus anerkennend genutzt wird: Ein Workaholic zu sein, ist alles andere als erstrebenswert. Vielmehr ist es vor allem eines: ungesund. Die deutschsprachige Bezeichnung für dieses Phänomen, nämlich Arbeitssucht, macht es deutlicher: Zu viel zu arbeiten, kann zwanghaft sein.

Definition: Was ist ein Workaholic?

Die Grenze zum löblichen Engagement ist spätestens dann überschritten, wenn Sie nicht mehr richtig abschalten können und Ihre Gedanken ständig um die Arbeit kreisen. Betroffene sind oft sowohl psychisch als auch körperlich ernsthaft beeinträchtigt. Dennoch ist Arbeitssucht in der Schweiz nicht als eigenständige Erkrankung anerkannt, wenngleich das Problembewusstsein in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das erschwert eine verbindliche und allgemeingültige Definition. Der Psychologe Wayne E. Oates brachte den Begriff bereits 1971 auf. Er verstand unter Workaholic (auf Deutsch gelegentlich auch Workaholiker) eine Person, die den unaufhörlichen Drang zur Arbeit verspürt.  

Die Nähe zum Begriff Alkoholiker kommt nicht von ungefähr. Denn es handelt es sich tatsächlich um ein klassisches Suchtverhalten. Die zwanghafte Arbeitswut bestimmt das Leben der Betroffenen immer stärker, private Interessen verlieren zunehmend an Bedeutung. Zudem muss die Dosis oft erhöht werden, damit der Süchtige Befriedigung aus seiner Tätigkeit ziehen kann. 

Die Dosis macht das Gift: Was lässt Menschen zum Workaholic werden?

In den meisten Jobs gibt es mal stressige Phasen mit Überstunden, etwa auf den letzten Metern eines wichtigen Projekts. Und die meisten von uns kennen das befriedigende Gefühl, das sich einstellt, wenn man Grosses geleistet und ein solches Projekt erfolgreich abgeschlossen hat. Das ist völlig normal und macht auch ein wenig den Reiz an der Arbeit aus – sofern diese intensiven Zeiten nicht zum Dauerzustand werden. Schwierig wird es, wenn der eigene Selbstwert sich primär durch berufliche Erfolge definiert. 

Das führt nicht selten zu ungesundem Perfektionismus, der häufig als eigentliche Ursache für Arbeitssucht betrachtet wird. Betroffene, die zwanghaft immer alles richtig machen wollen, verlieren die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Für sie ist einfach alles wichtig. Die Konsequenz: Die reguläre Arbeitszeit reicht nicht aus, man gerät immer tiefer in den Strudel von Überstunden, Wochenend- und Nachtschichten. Abschalten von der Arbeit wird nahezu unmöglich.

Workaholics sind nicht zwingend Leistungsträger – im Gegenteil

Das kann auf Dauer kaum gut gehen. Wer rund um die Uhr arbeitet und sich dabei immer mehr verzettelt, muss irgendwann erschöpft und ausgebrannt sein. Bei Workaholics lässt über kurz oder lang die Produktivität nach. Fehler schleichen sich ein, was gepaart mit dem Zwang zum Perfektionismus eine fatale Kombination ist: Betroffene meinen, noch härter arbeiten zu müssen, und geraten immer stärker in einen Teufelskreis.

Engagiert oder schon Workaholic? Typische Anzeichen für Arbeitssucht

Es ist nicht immer einfach zu erkennen, wann der schmale Grat zwischen hoher Einsatzbereitschaft und krankhaftem Suchtverhalten überschritten ist. Das kann insbesondere im Home-Office passieren, wo die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben ohnehin leicht verschwimmen. Wer die wenige Auszeit dann noch nicht einmal geniessen kann und sich auch im Feierabend Stress macht, etwa durch penibelstes Putzen oder Leistungsdruck beim Sport, der sollte auf jeden Fall einmal genauer in sich hineinhorchen.

Wissenschaftler der Universität Bergen (Norwegen) haben einen Katalog von sieben typischen Kriterien für Arbeitssucht erstellt. Um zu überprüfen, ob Ihr Umgang mit der Arbeit noch im Rahmen liegt, sollten Sie sich folgende Fragen ehrlich beantworten:

  • Vernachlässigen Sie häufig Freunde, Familie oder Hobbys zugunsten Ihrer Arbeit?
  • Denken Sie oft darüber nach, wie und wo Sie noch mehr Zeit für berufliche Aufgaben herausholen können?
  • Arbeiten Sie oft, um unangenehme Gefühle wie Angst, Hilflosigkeit oder Schuld zu unterdrücken?
  • Werden Sie unruhig, wenn Sie nicht arbeiten können? Etwa im Familienurlaub oder wenn Sie längere Zeit keinen Internetzugriff haben? Oder entwickeln Sie sogar körperliche Symptome für einen Entzug?
  • Benötigen Sie häufig mehr Zeit für Ihre Arbeit als Sie ursprünglich eingeplant hatten?
  • Wurde Ihnen schon mal geraten, beruflich kürzer zu treten – was Sie jedoch ignoriert haben?
  • Hat sich Ihre Arbeit schon einmal negativ auf Ihre Gesundheit ausgewirkt?

Wenn Sie mindestens vier der Fragen mit einem Ja beantworten, kann das ein Warnzeichen sein. Allerdings ist dieser Workaholic-Test nur als ein erster Indikator zu verstehen. 

Erste Hilfe: Was tun bei Arbeitssucht?

Wichtig ist es, ehrlich mit sich selbst zu sein. Ist Ihr hoher Arbeitseinsatz tatsächlich nur eine vorübergehende Phase während eines wichtigen Projekts oder weil Sie sich kurzfristig für eine Beförderung in Szene setzen wollen? Oder wird dieser Zustand allmählich zur Normalität?

Wenn Letzteres der Fall ist, können folgende Massnahmen helfen:

  • Klare Arbeitszeiten definieren: Setzen Sie sich Grenzen, die Sie auch einhalten. Sogar wenn noch nicht alles erledigt ist, was Sie sich vorgenommen hatten: Feierabend ist Feierabend! Das gilt ganz besonders im Home-Office. Aus dem Büro Arbeit mit nach Hause zu nehmen, ist nur in absoluten Notfällen eine Option.
  • Freizeit ernst nehmen: Reservieren Sie bewusst Zeiten, in denen der Job aussen vor bleibt. Schalten Sie Diensthandy und -laptop nach Feierabend aus, checken Sie keine beruflichen Mails mehr. Nehmen Sie den (virtuellen) Kneipenabend mit Freunden, die Verabredung zum Joggen oder das Fussballspiel Ihres Kindes ebenso wichtig wie geschäftliche Termine.
  • Arbeit abgeben: Sie müssen nicht alles selbst machen! Vertrauen Sie Ihren Kollegen Arbeit an und lernen Sie, im Job Nein zu sagen.
  • Fehler verzeihen: Lernen Sie, sich selbst Fehler zuzugestehen und bestrafen Sie sich nicht dafür. Das fällt Betroffenen häufig extrem schwer und ist ein längerer Prozess. Es kann helfen, sich vorzustellen, wie Sie mit einem guten Kollegen umgehen würden, wenn er Ihnen genau diesen Fehler beichten würde: Womöglich würden Sie bei anderen Verständnis zeigen.
  • Entspannungstechniken nutzen: Abschalten kann man lernen, etwa durch Yoga, Autogenes, Training oder Meditation. Entsprechende Kurse werden häufig von den Krankenkassen bezuschusst. Aber auch das bewusste Einplanen von Pausen, am besten draussen in der Natur, kann schon ein erster Schritt sein.
  • Über das Problem reden: Sprechen Sie mit Freunden oder vertrauten Kollegen über Ihr schwieriges Verhältnis zur Arbeit. Gestatten Sie ihnen, Sie darauf hinzuweisen, wenn Sie zu viel arbeiten. In manchen Städten gibt es Selbsthilfegruppen für Workaholics, in denen Sie sich mit anderen Betroffenen austauschen können.

Die wohl wichtigste, aber zugleich auch schwierigste Massnahme für Betroffene: Das Selbstwertgefühl nicht nur von der beruflichen Leistung abhängig zu machen. Kommen Sie allein nicht weiter, suchen Sie sich unbedingt Unterstützung.

Auch das Arbeitsumfeld kann einen ungesunden Umgang mit dem Job befeuern. Wenn Sie denken, dass es Zeit für einen Wechsel ist, unterstützen wir Sie gerne auf der Suche nach einer passenden Stelle.

Bildquelle: © Victoria Heath - unsplash.com

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